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Warum die Care-Krise systemisch ist? Eine feministisch-marxistische Analyse

Was verstehen wir unter einer Care-Krise?
Wenn wir nicht mehr genug Care-Arbeit in Familien oder Institutionen (z. B. Kindergärten, Schulen, Altersheime) leisten können und Menschen, die auf Fürsorge, Versorgung und Zuwendung angewiesen sind, nicht ausreichend unterstützt werden – dann sprechen wir von einer Care-Krise. Der Grund: Es fehlen zeitliche und finanzielle Ressourcen. Das führt zu sozialem Leid.

Was steckt hinter der Care-Krise – aus feministisch-marxistischer Sicht? Feministisch-marxistische Ansätze – wie z. B. bei Gabriele Winker – sehen in der Care-Krise eine Krise der sozialen Reproduktion. Soziale Praktiken wie Pflege, Erziehung und Fürsorge, die zur (Wieder-)Herstellung von Arbeitskraft notwendig sind, geraten unter Druck.
Da das kapitalistische System auf funktionierende Arbeitskraft angewiesen ist, bringt diese Krise der sozialen Reproduktion auch das kapitalistische System selbst ins Wanken.

Aber was führt eigentlich zu dieser Krise der sozialen Reproduktion?
Auslöser ist die Überakkumulationskrise, die Mitte der 1970er Jahre eingesetzt hat.

Und was genau bedeutet Überakkumulation?
Es gibt zu viel Kapital – in Form von produktivem Kapital, Krediten, Wertpapieren oder verbrieften Hypotheken.

Was passiert bei einer Überakkumulation?
Die Verwertung des Kapitals sinkt. Wenn die Verwertung des Kapitals sinkt – also das Kapital keinen ausreichenden Gewinn mehr bringt –, gerät das System unter Druck. Denn Kapital ist auf Verwertung angewiesen. In der Logik des Kapitalismus wird die Verwertbarkeit in solchen Krisen wiederhergestellt – durch Kapitalvernichtung: Unternehmen gehen bankrott, Kredite werden nicht mehr bedient, und Aktienkurse fallen.

Und welche Rolle spielt der Neoliberalismus?
Neoliberale Politik will Kapitalvernichtung verhindern – zumindest im eigenen Staatsgebiet – und setzt dafür auf Strategien zur Krisenbewältigung.

Welche neoliberalen Strategien zur Krisenbewältigung gibt es?

  • Verschiebung von Kapital auf die Finanzmärkte: durch Deregulierung und steigenden Kreditbedarf.
  • Räumliche Verschiebung der Krise: z. B. durch Exportüberschüsse – also mehr Produktion im Inland, mehr Verkauf im Ausland.
  • Kostensenkung:
    • Lohnsenkungen
    • Begrenzung der Staatsausgaben

Funktionieren diese Strategien überhaupt?
Die Reproduktion der Arbeitskraft wird erschwert – also alles, was Menschen brauchen, um arbeiten zu können: Bildung, Gesundheit, Pflege leidet unter Sparmassnahmen.
Es entsteht noch mehr Überakkumulation: Unternehmen machen zwar Gewinne, aber wissen nicht, wohin mit dem Kapital.
Die Krise wird dadurch nicht gelöst, sondern verschärft – es braucht ständig neue „Lösungen“, die oft neue Probleme schaffen.

Fazit:
Die Care-Krise hat systemische Ursachen und ist eine Reaktion auf die Überakkumulationskrise. Neoliberale Strategien wie Kostensenkung verschärfen den Widerspruch zwischen Profitmaximierung und der Reproduktion der Arbeitskraft. Statt die Krise zu lösen, verschärfen sie sie – und setzen einen Teufelskreis in Gang, in dem jede Krisenbewältigung neue Krisen erzeugt.

Quelle: Gabriele Winker, «Care Revolution, Schritte in eine solidarische Gesellschaft», 2015 transcript Verlag, Bielefeld. Seiten 97-101. (Care Revolution bei transcript Verlag)