Titelbild Copyright: Leo Pihlgren
Liebe Mitstreiter*innen, Genoss*innen, Kompliz*innen und solidarische Mitunterstützende
Auch dieses Jahr haben wir unseren Kampf fortgesetzt und sind gemeinsam auf die Strasse gegangen, um unseren Forderungen für eine gerechte und feministische Zukunft eine Stimme zu geben. Schweizweit beteiligten sich rund 150’000 Frauen, Lesben, inter, non-binäre, trans und agender Personen am feministischen Streiktag gegen die systematische Unterdrückung und Ausbeutung. In Zürich alleine trotzten 55’000 Personen unter dem Motto «Do you care? Gegen Aufrüstung und Faschismus» der brütenden Hitze von über 30 Grad und bewiesen ihre ungebrochene Solidarität und Entschlossenheit.
Die Schweiz in Zahlen…

Zürich 55’000/ Basel 15’000 / Bern 35’000 / Waadt 20’000 / Genf 10′-15’000 / Fribourg 3’000 / Luzern 3’000 / St. Gallen 1’800 / Tessin 1’000 / Wallis 1’000 / Biel 600 / Jura 300 / Graubünden 300 / Solothurn 250 / Aargau 200 / Frauenfeld 200 / Zug 100 / Olten 90
Betriebsbesuche am Morgen
Der Tag begann bereits um 9 Uhr morgens mit Besuchen in Betrieben, um Arbeiter*innen in Care-Institutionen, im Detailhandel und anderen systemrelevanten Bereichen unsere Dankbarkeit auszudrücken. Während wir uns die Strasse nehmen konnten, mussten sie arbeiten – dafür wollten wir ihnen danken und auf ihre schwierigen Arbeitsbedingungen aufmerksam machen.







Im Gespräch mit Arbeiter*innen im Detailhandel hörten wir von 14-Stunden-Schichten, den Schwierigkeiten alleinerziehender Mütter ohne finanzielle Unterstützung und der schlechten Altersvorsorge aufgrund unterbezahlter Arbeit. Auch die Care-Arbeiter*innen, die auch an unserem Streiktag für andere da sein mussten, verdienen unsere Anerkennung – sie halten das System am Laufen, während ihre Arbeit systematisch entwertet wird. Und das, während ihre Chef*innen & Finanzheinis schön Profite einstreichen. Doch auch hier wurde deutlich: Die Menschen sind wütend und es regt sich der Widerstand!
Der Tag in Zürich
Bei über 30 Grad im Schatten und strahlendem Sonnenschein liessen wir uns nicht aufhalten. Wasserhydranten wurden angezapft, Gartensprinkler sorgten für Abkühlung, und überall verteilten solidarische Helfer*innen Wasser an die Menschen. Die Hitze wurde zur Nebensache und unser Kampfgeist zur Pflicht, wenn es darum ging, gemeinsam für eine feministische Zukunft einzustehen.
Um 15:00 Uhr markierte ein schweizweiter 15-sekündiger Schrei gegen Feminizide den Demonstrationsbeginn. Bis heute zählen wir 15 ermordete FLINTA* im Jahr 2025. Feminizide sind dabei nur die Spitze der tagtäglichen strukturellen, patriarchalen Gewalt an FLINTA*.















Von Beginn an war die antikoloniale Perspektive kraftvoll sichtbar: Durch die ganze Demo hindurch trugen tausende Menschen ihre Kufiyah aus Solidarität und standen für ein freies Palästina ein. Transparente und Sprechchöre machten deutlich: Unser Feminismus ist intersektional, international, antifaschistisch und antikolonial.
Kämpferische Reden unterwegs
Während des Demonstrationszugs hörten wir kraftvolle Reden verschiedener Kollektive:
Krilp – kritische Lehrpersonen prangerten die rückschrittliche Förderklassen-Initiative an, die Kinder mit besonderen Bedürfnissen wieder separieren will. Sie forderten: „Nein zu dieser bildungspolitischen Rolle rückwärts! Nein zu einer Spaltung von Kindern in ’normale‘ und ’nicht normale‘.“ Stattdessen brauche es endlich die Ressourcen für echte Inklusion: mehr Fachpersonen, kleinere Klassen, mehr Zeit für Beziehungsarbeit.
Das Kollektiv Pylos gedachte der über 700 Menschen, die vor zwei Jahren vor der griechischen Küste ertrunken sind, während europäische Behörden tatenlos zusahen. Sie betonten: „Unser Feminismus kämpft für Bewegungsfreiheit, für Selbstbestimmung über Grenzen hinweg. Denn es gibt keine Befreiung, wenn nicht alle frei sind.“














Widerstand gegen Kapitalismus und Patriarchat
Der kämpferische Geist zeigte sich in widerständigen Aktionen gegen kapitalistische und patriarchale Institutionen. Der revolutionäre Block mit 1’500 FLINTA*-Personen brachte eine internationalistische, antikapitalistische Perspektive auf die Strasse. Am Paradeplatz, dem Herzstück des Schweizer Kapitalismus, nahmen wir uns den Raum zu eigen. Inmitten von Banken, die täglich vom Kriegsgeschäft profitieren, setzten wir kraftvolle Zeichen gegen imperialistische Gewalt und Genozid.
Wir zeigten uns widerständig gegen Institutionen, die täglich patriarchale Gewalt, Repression und Ausbeutung produzieren – von Krankenkassen über Symbole kapitalistischer Ausbeutung bis hin zu Tempeln des Luxuskonsums, während Menschen um ihre Existenz kämpfen müssen.
Um 16:30 Uhr hielten wir eine Schweigeminute in Gedanken an von Krieg und Gewalt betroffene FLINTA*-Personen weltweit. Als feministische Bewegung verstehen wir uns als international solidarisch: Care-Arbeit hat individuelle Grenzen – unsere Solidarität nicht.
Der Abend auf dem Ni-Una-Menos-Platz
Bevor das Streikkollektiv die Care-Kampagne 2027 verkündete, hörten wir bewegende Reden verschiedener Kollektive:
Der Care Block – bestehend aus Fachpersonen der Kinderbetreuung, Sozialen Arbeit und Bildung – machte deutlich: Während die Armee um 4 Milliarden aufgerüstet wird, sollen bis 2030 bei der sozialen Wohlfahrt 3,6 Milliarden gespart werden. „Geld für Panzer – aber weniger für die soziale Wohlfahrt. Diese Politik schützt keine Menschen – sie schützt ein System, das auf Ungleichheit baut.“
Das Kollektiv Ni Una Menos ging eindringlich auf die strukturelle Dimension der Gewalt gegen FLINTA*-Personen ein: Feminizide sind nicht isolierte Einzelfälle oder Tragödien im privaten Raum, sondern die extremste Ausprägung eines patriarchalen Systems, das Gewalt gegen Frauen, Lesben, inter, non-binäre, trans und agender Personen systematisch produziert und normalisiert. Diese Gewalt beginnt nicht erst beim Mord – sie durchzieht alle Lebensbereiche: von psychischer Gewalt über ökonomische Abhängigkeit bis hin zu institutioneller Diskriminierung. Jeder Feminizid ist ein gesellschaftlicher Feminizid, weil er in einem System stattfindet, das diese Gewalt ermöglicht und oft unsichtbar macht. Deshalb braucht es nicht nur individuelle Schutzmassnahmen, sondern strukturelle Veränderungen.








Eine Stimme aus dem Sudan erinnerte daran, dass feministische Kämpfe weltweit verbunden sind. In Kriegs- und Krisengebieten tragen FLINTA*-Personen die Hauptlast, unter unmöglichen Bedingungen für ihre Gemeinschaften zu sorgen.
Auch die palästinensische Perspektive kam zu Wort und betonte: „Es gibt keine Gleichberechtigung hier ohne Gleichberechtigung weltweit. Wegschauen ist Mord!“ Konkret wurde aufgerufen, dort aktiv zu werden, wo das eigene Leben stattfindet – an der Uni, am Arbeitsplatz, in politischen Organisationen.
Verkündung der Care-Kampagne 2027
Der Höhepunkt des Tages war die Verkündung der Care-Kampagne 2027 um 18:30 Uhr auf dem Ni-Una-Menos-Platz. In einem kraftvollen Moment stiegen zwei riesige violette Ballons mit den Transparenten „CARE STREIK 2027“ inmitten von Rauch vom Dach des Bühnenlastwagens auf, begleitet von Trommeln. Ein Moment, der unsere Entschlossenheit und Stärke unterstrich.
Wenn unsere Forderungen nicht erfüllt werden, werden wir 2027 unsere Arbeit niederlegen und der Gesellschaft zeigen was passiert, wenn Care-Arbeit nicht mehr geleistet wird.




Alle Reden, auch mit entsprechenden Übersetzungen finden sich hier: Reden 14. Juni 2025
Zum Abschluss des Abends haben wir den Ni-Una Menos-Platz im Herzen von Zürich mit unserer feministischen Solidarität gefüllt, gemeinsam zu Hunderten Lieder gesungen und den Platz mit einer riesigen Palästina-Fahne und einem 40 Meter langen Transparent verschönert als Zeichen dafür, dass wir eine Welt wollen, in der Palästina frei ist und alle Menschen zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer selbstbestimmt leben können. Ohne Kolonialismus und Krieg, ohne Apartheid und Genozid. Kein Feminismus ohne Antikolonialismus. Free Palestine!




Ausblick
Mit der Ankündigung der Care-Kampagne 2027 setzen wir ein starkes Signal für eine strukturelle Veränderung der Gesellschaft. Die Kampagne ist offen für alle feministischen Bewegungen und Unterstützende, die gemeinsam für bessere Care-Bedingungen und internationale Solidarität kämpfen wollen. Die kommenden zwei Jahre werden wir nun nutzen, um mit anderen Kollektiven, Gewerkschaften und Gruppen unsere Care-Kampagne aufzubauen, uns mit Arbeiter*innen zu vernetzen und uns als Bewegung zu stärken. Bis 2027 werden wir weiter wachsen. Wir organisieren, mobilisieren, reden, planen, kommen zusammen, bilden Banden. In den Betrieben, auf der Abteilung, beim Kinder abholen, im Lehrer*innenzimmer, beim Elternabend, in politischen Gruppen, Freundeskreisen, bei Familientreffen.
Ohne uns steht alles still – hier und überall.